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SUSANNAH MARTIN

SALON DOGS

Künstlerisches Statement, Susannah Martin

Wie bekannt, waren es die Realisten, die Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris zuerst die Vorherrschaft der Akadémie und des Salons über den öffentlichen Geschmack herausforderten. Danach gelang es den Impressionisten, die Vorherrschaft zu übernehmen. Der Realismus, als Gegensatz zu dem damals vorherrschenden Gemisch aus neoklassizistisch-romantischer Malerei, schockierte das Establishment mit seinem Fokus auf das gewöhnliche Leben in all seiner Grobheit. Mit Courbet begann die Revolution des „jetzt“, das sich durchgesetzt hat durch das 20. Jahrhundert und 2015 beliebter ist denn je.

Die Académie française und der Salon de Paris waren im Grunde eine Institution, gegründet um „französisches Kulturgut zu beobachten, zu fördern, zu kritisieren und zu beschützen“. Mit anderen Worten, sie waren die Ästhetik-Polizei. Es gab unausgesprochene Regeln für den Inhalt von Kunst: Historische Malerei, Porträts, Landschaften und Nacktheit in Form antiker griechischer Götter.
Meine Bildinhalte setzen meine Arbeit einerseits eindeutig in Verbindung mit diesen militanten Richtlinien der Kunst. Anderseits bringen sie Fragen auf zu meinem Verhältnis zur Moderne. Darüber hinaus würde bei meinen deutschen Kollegen vielleicht ein ungutes Gefühl bei einer derartigen Darstellung von Personen aufkommen, die bei dem einen oder anderen Assoziationen zu faschistischer Kunst hervorruft.

Für mich bleibt der Salon de Paris ein Symbol für alle Tendenzen, in der Welt der Kunst und der Gesellschaft eine ästhetische Norm diktieren zu wollen. Zum Beispiel denke ich, dass eine gewisse zeitgenössische Salon-Mentalität unsere Mode- und Kosmetikindustrie stark beeinflusst. Wir tendieren dazu, die herrschende Position sogenannter Experten zu nutzen, um uns eigenwilligen, unvollkommenen und vom herrschenden Schönheitsideal abweichenden Menschen eben diese Ideale aufzwingen zu lassen. Und wann immer dieses gesellschaftliche Korsett zu stark spannt, schlägt das Herz der Revolution lauter und die Realisten kommen hervor um das System umzustürzen.

Dabei ist die Frage nach einer aktuellen Definition des Realismus kompliziert. Wie sieht unsere Welt heute aus? Aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts müsste man sagen, dass unser Konzept der Realität verzerrt, zerbrochen oder verdreht ist. Oder erweitert es sich vielleicht?
Unser Realitätskonzept beinhaltet nun Blickwinkel, die für unsere Vorfahren im 19. Jahrhundert nicht erkennbar gewesen wären. Hätten sie zu Beispiel Wein, der durch die Luft fliegt, aufgenommen in einer Millisekunde mit einer High Speed Kamera, überhaupt als Wein erkannt? Niemand in der heutigen Zeit hat ein Problem damit, dieses eigenartige Bild zu interpretieren.
Wir können zeitgenössische Realität nicht definieren, ohne das Internet oder die Fotobearbeitung zu erwähnen. Unser Gehirn hat gelernt, neue und unerwartete Verknüpfungen zwischen scheinbar bezugslosen Bildern zu bilden. Die Flut an Bildern, die unser Gehirn füllt und unser Konzept der Realität ausmacht, fühlt sich im Vergleich zu dem geordneten Bild des 19 Jahrhunderts an wie eine überladene Drei-Manegen-Zirkusshow. Es fällt uns schwer, dieses Lebenskonzept an die veralteten Vorstellungen anzupassen.

Ich wuchs in einer Künstlerfamilie auf und habe eine relativ formelle Ausbildung der bildenden Künste erhalten. Meine Maltechniken werden meist als klassisch beschrieben.
Die Menschen in meinen Gemälden sind sicher entfernte Verwandte des Salons. Vielmehr aber schwelgen sie ausgelassen mitten in unserer Gegenwartskultur:
Wir haben den Eindruck, dass sie den Blick auf die Landschaft eher versperren und stören als dass sie friedlich mit der Natur koexistieren wie damals im Wald des Fountainebleau.
Während ich versuche, eine romantische Landschaft zu erhalten, fallen sie als Individuen, die in der immer weiteren virtuellen Realität klarkommen müssen, in diese Landschaft ein. Sie bringen ihre Hunde mit sich, die besten Freunde des Menschen und ihre einzig verbleibende Verbindung zur Natur.

Von der Front der Revolution des „jetzt“ kann ich nur Folgendes berichten: Die Hunde wurden im Salon freigelassen und die Polizei ist machtlos, sie zu stoppen. Der Salon hat sich in eine Kunstmesse verwandelt und die Schwelger haben die Kontrolle übernommen.

Susannah Martin



PRIMORDIAL TOURISTS

Unterwegs auf der Suche nach dem ewigen Zuhause

"In jedem Menschenherzen lebt etwas von der Sehnsucht,
zu seinem Ursprung zurückzukehren,
nach aller Entfremdung von Gott und von sich selbst
zurückzufinden in unser ewiges Zuhause."

Felix Schlösser


Die Kunstgeschichte des Aktes in der Landschaft dokumentiert exakt diese Sehnsucht. Sieht man einmal von den erotischen Motivationen ab, so war der Akt immer ein Symbol für den Menschen in seiner pursten Form, seiner originären Form, seiner primordialen Form. Entblößt von allen sozialen Indikatoren wie Kleidung, Eigentum usw., existiert er unabhängig von seiner Identität in einer Zeit des puren Seins. Sein ist unser ewiges Zuhause. Die Natur verfügt über keine Identität, sie ist. Der Akt in einer natürlichen Umgebung wurde seit jeher mit der Rückkehr in eine Zeit des puren Seins assoziiert - eine Heimkehr.

Mich fasziniert es, wie Künstler im Verlauf der Menschheitsgeschichte unsere innerste Verbindung mit der Natur durch den Akt zu repräsentieren versuchen und wie diese Wahl Ihre Epoche reflektiert. Für den Primordialen-Künstler, war die Natur Heimat. In seiner Darstellung von Mensch und Tier an Höhlenwänden mit Holzkohle und Fett dokumentierte er seinen Alltag in seiner natürlichen Umwelt. Dass seine Strichmännchen-Jäger und üppigen Frauengestalten so nackt wie die Tiere sein sollten, die er beobachtete, stand außer Frage.

Die menschliche Form in der Altägyptischen Kunst zeigt wie sehr der Mensch sich immer noch im Einklang mit den Kräften des Universums befand, welches er mit einem endlos komplexen Netzwerk von Göttern und Naturgeistern identifizierte. Obwohl er sich bewusst war, dass jegliches Handeln in einem Kontext von Interdependenzen bestand, so wurde diese Erkenntnis zunehmend durch ein Gefühl des Getrenntseins ersetzt, welches sich allmählich durch das Erscheinen eines leichten Lendenschurzes ausdrückte. Wie leicht und durchsichtig dieser Lendenschurz auch gewesen sein mag, oder wie sehr es den Konturen des menschlichen Körpers folgte, ist die damit getroffene Aussage unwiderlegbar – die Trennung von Mensch und Natur ist unumkehrbar.

Bis zum vierten Jahrhundert vor Christus hatten die Griechen den Akt zu seiner elegantesten Form entwickelt und ihn hiermit jeglicher irdischen oder animalischen Daseinsform entzogen. Kein Gott würde je selber nach seiner Nahrung jagen müssen und die Schönheit des menschlichen Athleten sollte im Mittelpunkt der Stadien und Amphitheater stehen. Die Trennung des Menschen war somit etabliert, seine Position überlegen und herrschend.

In Folge dieser dramatischen Unabhängigkeitserklärung von der Natur kam eine lange Zeit des Schweigens darüber, wie der Akt dargestellt werden sollte; es war die finstere Zeit des frühen Mittelalters. Die Renaissance begann mit einer überwältigenden Bejahung der klassischen, griechischen Philosophie. Wieder um wurde der Mensch zur Apotheose der Schönheit und war dennoch gezwungen, diese mit den neuen Christlichen Idealen zu verbinden. Der Mensch sollte als Bestandteil der Schöpfung gesehen werden, wenn auch als Ebenbild Gottes.

Langsam begannen Bestrebungen, den Akt mit der Natur wieder zu vereinen, maßgeblich in zwei Kategorien: Griechische Mythologie und biblische Illustration. Diese beiden Varianten beherrschten die Kunst, bis ein neuer Agitator sich am Horizont abzeichnete: Die Industrialisierung. Die Künstler der Romantik lebten in der Morgendämmerung der Industriellen Revolution, sie spürten was kam und die Vision von Rousseaus ‚Edlem Wilden‘, noch frisch in ihrem Geist, versuchten sie, stürmisch die Menschheit wieder in Einklang mit ihren natürlichen Ursprüngen zu bringen und taten dies durch Musik, Poesie und Malerei. Somit begann ein neues Konzept des Aktes zu entstehen, geboren aus der griechischen Mutter und dem biblischen Vater und dennoch menschlicher und zeitgemäßer: Der Badende, ein Mann oder eine Frau, wurde zeitlos durch seine Nacktheit ungeschmückt, in seiner nicht-heroischen Interaktion mit der Natur gezeigt. Der Badende ist der direkte Nachfahre des Jägers von Lascaux und war somit über die Jahrhunderte das verbindende Glied zum Urmenschen.

Es ist keineswegs verwunderlich, dass wir den Badenden mit der Romantik assoziieren, aber er erreichte den Höhepunkt seiner Popularität am Ende des 19. Jahrhunderts, just zu dem Zeitpunkt, in dem die Industrialisierung ihre mächtigste und zerstörerischste Expansion durchlief. Während das 19. Jahrhundert noch einen plausibel Badenden in einem diskreten natürlichen Umfeld präsentierte, zerbrach im folgenden Jahrhundert diese selbstverständliche Natürlichkeit. Die moderne Psychose wurde eingeläutet, in dem unsere Psyche sich zwischen der Angst des Verlustes unseres Ursprungs und dem berauschenden Reiz des technologischen Fortschritts spaltete. Eine plausible Vermählung zwischen Mensch und Natur in der Kunst konnte nun nicht mehr als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Die Absurdität dieses Bildes wuchs in direktem Verhältnis zu wissenschaftlichem Fortschritt und Urbanisierung. Die Erfindung der Fotografie zog Künstler in den Realismus, um sie schließlich in die Abstraktion zu führen.

Die Natur ist nicht mehr unsere Heimat, sie ist vielmehr ein Reiseziel geworden. Zweifellos kann keine aktuelle Darstellung eines „ Akt in der Landschaft“ unsere extreme Entfremdung von der Natur verbergen, ob bewusst oder unbewusst. Eine unausweichliche Seltsamkeit oder Gefühl der Verwerfung umgibt zwangsläufig auch den ehrlichsten Versuch zur Darstellung von Harmonie zwischen Mensch und Natur. Absurd erscheint der Mensch, entblößt all seiner Besitztümer und Identitätskrücken und dennoch ist es unstrittig, dass er, wenn wir über ihn als Phänomen der Natur nachdenken, er an Stärke, Klarheit und Schönheit gewinnt. Meine Experimente den Akt in der Landschaft zu vergegenwärtigen, finden im Spannungsverhältnis dieser dualen Selbstwahrnehmung statt.

Die Entwicklung der virtuellen Welt ermöglicht Künstlern die Vorschrift der Plausibilität in der repräsentativen Malerei zu umgehen. Wenn der Mensch nun als intergalaktischer Android im Kampf mit Außerirdischen dargestellt werden darf, so kann er ebenso gut badend in einem nahegelegenen Bach gezeigt werden. Es ist Realismus, wenn wir akzeptieren, dass Realismus auch virtuellen Realismus einbezieht, und somit ein hohes Maß an Unwahrscheinlichkeit inkorporiert, einen hyperbolischen Realismus wenn man so will. Der Mensch darf in seine Urlandschaft zurückkehren, im seinem ewigen Zuhause, wenn auch nur als Reisender, als "Primordial Tourist".

Susannah Martin